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Slawisches Österreich – Geschichte und Gegenwart der Minderheiten
Die Slowenen in Kärnten
Zu den slawischen Minderheiten in Österreich gehören heute die Slowenen in Kärnten, die Kroaten im Burgenland, eine „hidden minority“ der Slowenen in der Steiermark sowie die Tschechen und Slowaken in Wien. Die Minderheit der Slowenen in Kärnten und Steiermark ist autochthon, die Burgenlandkroaten sind im 16. Jh. aus Nordwestkroatien in das damalige Ostungarn zugewandert, und die Wiener Tschechen und Slowaken sind zum größeren Teil im letzten Jahrhundert der Monarchie in die Hauptstadt zugezogen.

1. Ansiedlung der Alpenslawen und das slawische Fürstentum Karantanien
2. Kurzes Kapitel zur Namenforschung
3. Die Situation der Slowenen vom 15. Jhdt. bis zum 2. WK
4. Die Situation nach dem 2. Weltkrieg
5. Einrichtungen und Institutionen der Kärntner Slowenen

1. Die Ansiedlung
Die Vorfahren der Kärntner Slowenen, in der Wissenschaft meist Alpenslawen genannt, besiedeln den östlichen Teil der Ostalpen in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts von Pannonien herkommend, wo sich nach dem Abzug der Langobarden 568 nach Oberitalien Awaren und Slawen in Gemeinschaft niedergelassen hatten. Die Slawen waren erstmals nördlich des Schwarzen Meeres in die Geschichte eingetreten. Römische Autoren bezeichnen sie als Veneti, die byz. Geschichtsschreiber Prokopius und Jordanes im 6. Jhdt. als Sklavenoi, und sie berichten, wie diese zusammen mit den Awaren von Osteuropa aus nach Westen vordringen. Über die Landnahme der Slawen im Raum der römischen Provinz Norikum selbst gibt es keine zeitgenössischen Quellen, sie dürfte aber noch vor der Synode von Marano (590) erfolgt sein, wie man aus der sonst unerklärlichen Nichtanwesenheit der norischen Bischöfe auf dieser Synode indirekt schließen kann. Die wichtigsten Städte Binnennorikums und zugleich auch Bischofssitze waren Aguntum (Dölsach bei Lienz), Teurnia (St. Peter in Holz bei Spittal/ Drau), Virunum (Zollfeld), Celeia (Celje), Poetovio (Ptuj) und Flavia Solva bei Leibnitz (Frauenberg).

Anfang des 7. Jhdts. bildet sich bei den Alpenslawen eine selbständige Herrschaft mit dem Zentrum in Karnburg/Krnski grad auf dem Zollfeld/Gosposvetsko polje bei Klagenfurt heraus, das Fürstentum Karantanien. Die Quellen nennen es marca Vinedorum oder Sclaborum provincia. Die Alpenslawen (die Vorfahren der heutigen Slowenen) werden im 7. Jhdt. Als Carantani, sclavani, sclavi, sclavoni oder veneti bezeichnet, die Germanen nennen sie Winedi, Winadi oder Winden.

Die Germanen nannten überhaupt alle Slawen, ihre Nachbarn im Osten und Süden von der Ostsee bis zur Adria, Wenden oder Winden (wohl nach den vorchristlichen Venetern?). Es gibt zahlreiche Ortsnamen mit der Bezeichnung Windisch vom Norden (Windisch Marchwitz in Polen, Windisch Proben in der Slowakei, Windisch Kamnitz in Tschechien, Windisch Garsten in Oberösterreich, Windischeschenbach in Bayern) bis nach Krain im Süden (Windisch Landsberg in Dolenjska – Unterkrain, das im 13. Jhdt. Windische Mark hieß, Windisch Matrei in Osttirol, heute Matrei etc.; auch das erste slowenische Buch Primus Trubars, 1550, hieß auf Deutsch Catechismus in der windischen Sprach, bei Jurij Dalmatin, 1584, heißt es gar Das ist die ganze heilige Schrift Windisch). Im Norden tragen die Orte eher das Attribut Wendisch (noch im 19. Jhdt. die Bezeichnung für die Sorben), in Brandenburg, Sachsen Anhalt, Mecklenburg gibt es davon gute zwei Dutzend.

Das Fürstentum Karantanien bleibt bis zur Mitte des 8. Jhdts. unabhängig. Gegen die Awaren, die Karantanien vom Osten her bedrängen, ruft Herzog Borut 745 die Bayern zu Hilfe. Die Awaren werden zwar zurückgeschlagen, allerdings um den Preis, daß fortan auch die Karantanen - wie die Bayern bisher schon - der fränkischen Oberherrschaft unterstehen. Die karantanischen Fürsten Gorazd (Sohn Boruts) und sein Vetter Hotimir (der "Friedwillige") werden als Geiseln genommen und christlich erzogen. Hotimir lädt Bischof Virgil (†784) aus Salzburg nach Karantanien zur Missionierung ein, dieser entsendet Bischof Modestus nach Maria Saal. Virgil war Ire, die Missionare auch, man spricht von der irischen Mission. Die irischen Missionare sind tolerant und lassen den Heiden ihre Bräuche, indem sie diesen einen christlichen Inhalt unterlegen. Auch respektieren sie in ihrer Tätigkeit die Sprache der Bevölkerung. Eine zweite Welle der Missionierung kommt über das Bistum Freising in Bayern: 769 errichtet Herzog Tassilo III in Innichen im Pustertal ein Kloster zum Zwecke der Christianisierung der Slawen. Von dort aus wird die Kirche Maria Wörth begründet. Ab 811 wird die Drau zur Grenze der kirchlichen Verwaltung. Nördlich der Drau ist das Erzbistum Salzburg zuständig, südlich davon das Patriachat Aquilea.

Im 8. und 9. Jhdt. zählt man zu Karantanien die Täler der Drau, der oberen Mur, der Mürz, der oberen Enns samt dem Ischler Land. Karantanien zugerechnet wird auch der Süden Oberund Niederösterreichs (bis zur Schwarza) sowie der westliche Teil der Buckligen Welt, der Pongau, der Lungau und das Steyrtal. Die Südgrenze Karantaniens bilden die Karnischen Alpen und die Karawanken.

Durch die Christianisierung, die mehr als 100 Jahre vor Kyrill und Method in der Volkssprache erfolgte, erhielten die Slowenen die ersten schriftlichen Denkmäler, die Freisinger Denkmäler (FD). Es handelt sich um drei religiöse Texte, die um das Jahr 1000 aufgezeichnet worden sind, auf eine frühslowenische Schrifttradition hinweisen (rhythmisierte Prosa) und lautliche Merkmale der Kärntner slowen. Mundarten zeigen, z.B. modliti, statt sonstigem südslaw. moliti – ein Archaismus, wie er im Gailtal und östlichen Jauntal erhalten ist. Die FD weisen keine Germanismen auf, denn die Bayern waren noch nicht im Lande.

819/20 unternimmt Ljudevit Posavski (von Sisak an der Save aus) einen Aufstand gegen die Franken, dem sich auch die Karantanen anschließen. Nach dessen Mißerfolg wird Karantanien nach 200 Jahren relativer Eigenständigkeit 828 vollkommen dem Herzogtum Baiern eingegliedert. Anstelle der slawischen Fürsten folgen nun bayrisch-fränkische Feudalherren und Grafen. Im Jahre 976 trennt Kaiser Otto II. Kärnten von Baiern und macht es zu einem eigenständigen Herzogtum. Und mit der bayrischen Herrschaft kommen auch die bayrischen Siedler - ein Zustrom, der gerade um die Jahrtausendwende besonders stark gewesen sein mag. Das ist dann der Anfang der andauernden slowenisch-deutschen Gemeinsamkeit in Kärnten, die erst im 19. Jhdt. mit der Politisierung der Sprache und der Entstehung der germanischen und slawischen Nationen zum Dualismus ausarten wird.

Hinweise zur Geschichte der Karantanen im Mittelalter geben folgende wichtige Quellen: die Historia Langobardorum des Paulus Diaconus aus Friaul (799), weiters die Fredegar-Chronik, ein fränkisches Geschichtswerk aus dem 7. Jhdt., das von slawischen, unabhängig von den Awaren agierenden Verbänden in den Ostalpen berichtet, und die Conversio Bagoariorum et Carantanorum aus dem Jahre 870, ein Weißbuch der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien, das insbesondere Salzburger Ansprücheauf Pannonien legitimieren sollte, wo der Erfolg Salzburgs durch den Griechen Method zunichte gemacht worden sei!

Mit Karantanien verbunden ist die Herzogseinsetzung am Zollfeld, eine Zeremonie, bei der der neue Herzog die Macht direkt aus der Hand eines priviligierten Wehrbauern (kosez/ Edlinger) erhält. Der Fürstenstein, eine umgedrehte Basis einer ionischen Säule aus Virunum, befindet sich heute im Landesmuseum Klagenfurt. Er stand auf dem Feld hinter der Karnburg. Der zweite Teil der Zeremonie fand in der Kirche in Maria Saal statt, der letzte Teil beim Herzogstuhl, wo der fränkische Feudalakt mit Huldigung und Eidleistung der Adeligen und Bestätigung oder Neuvergabe von Lehen vollzogen wurde. Die letzte Herzogeinsetzung in slowenischer Sprache erfolgte am 18. März 1414, als Ernst der Eiserne inthronisiert wurde. Beschrieben wird dieser Brauch von wichtigen Historikern jener Zeit, z.B.von E. S. Piccolomini (starb als Papst Pius II.) und dem Abt Johann von Viktring.

Im 15. Jahrhundert bildet sich zwischen Deutsch und Slowenisch jene Sprachgrenze heraus, wie sie im Wesentlichen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unverändert bleiben wird. Sie verläuft von Hermagor/Šmohor über die Gailtaler Alpen/Ziljske planine bis zum Dobratsch/Dobrac, quert südlich von Villach/Beljak die Drau, verläuft über die Ossiacher Tauern / Osojske Ture, über Moosburg/Možberk nach Maria Saal/Gospa Sveta, Diex/Djekše und endet bei Lavamünd/Labot, wo die Lavant in die Drau mündet. Zwei Drittel der Landesbevölkerungsprachen deutsch, ein Drittel slowenisch.

Es ist eine Tatsache, daß die Herrschaftsverhältnisse im Mittelalter die Gewichte im Ostalpenraum in ethnischer und sprachlicher Hinsicht zu Ungunsten der Alpenslawen verschoben haben. Die slowenische Geschichtsschreibung übertrieb aber in der Herausstellung dieses Faktums und machte aus der mittelalterlichen Geschichte einen Mythos der Knechtschaft und Unterjochung: Zunächst seien es die Awaren, dann die Deutschen gewesen, in deren Staat man 1000 Jahre lang zum Vegetieren verurteilt war. Den Slowenen wird die Rolle der Märtyrer zugewiesen und das frühe Mittelalter wegen der „demokratischen“ karantanischen Episode zum goldenen Zeitalter erhöht. Den Baiern und Franken, mit einem Wort, den bösen Deutschen, gelang es, bis zum Ende des Mittelalters zwei Drittel der Bevölkerung zu germanisieren und die ethnische Grenze von der Donau bis an die Drau zu drücken. Das förderte natürlich Vorurteile gegenüber den Deutschen. Man kann im frühen Mittelalter noch nicht von Slowenen sprechen. Auch die Adeligen, die zwar Deutsche waren, waren keine Fremdherrschaft, etliche von ihnen beherrschten Slowenisch und drangsalierten den slowenischen Bauern gleich wie den deutschen.

2. Namensforschung.
Mit den slawischen Namen des Ostalpenraums haben sich erfolgreich beschäftigt: Simon Pirchegger, Die slawischen Ortsnamen im Mürzgebiet (1927), F. Lochner von Hüttenbach (Steiermark-Karte), Eberhard Kranzmayer, Ortsnamenbuch von Kärnten, in letzter Zeit besonders der Klagenfurter Indogermanist und Slawist Heinz Dieter Pohl, der die Zeitschrift Österreichische Namenforschung herausgibt und bedeutende namenkundliche Initiativen gesetzt hat. Daten und Literatur zur slawischen Namenforschung besonders die Steiermark betreffend s. in M. Trummer, Slawische Steiermark (in: Slowenische Steiermark, Verdrängte Minderheit in Österreichs Südosten, Graz 1997). Die Namenkunde verfügt über ein Instrumentarium und eine Forschungstradition, dass sie ein lebendiges Bild von der Besiedlungsgeschichte zu geben vermag. Das trifft im Besonderen auf Kärnten zu, in der Steiermark ist auf diesem Gebiet nach dem letzten Weltkrieg eher wenig gearbeitet worden. Der Anteil der slowenischen Ortsnamen schwankt in Kärnten je nach Region zwischen 20 und 60 Prozent. Das Slowenische ist also für Kärnten sehr wohl ein konstitutives und zum Land gehörendes Element. Ob auch in Form von Ortstafeln, ist allerdings politisch umstritten.

Für die Chronologie der Übernahme slow. Toponyme ins Deutsche liefern Germanisten eine Reihe von Anhaltspunkten, z.B. die neuhochdeutsche Diphthongierung, den Umlaut ö und die Substitution des slow. /b/ zu /f/ . Sie erfolgten alle im gleichen Zeitraum, nämlich vor 1300. Daher sind Namen mit Diphthongierung, mit dem Umlaut ö und mit f vor 1300 entlehnt worden, ohne diese Merkmale erfolgte die Entlehnung nach 1300:
vor 1300: Ribnica > Reifnitz, Bistrica > Feistritz, Suha > Zauchen,
nach 1300: Ribnitz, Lippitzbach, Sucha.
vor 1300: Gorje > Göriach, Borovlje >Förlach/Ferlach,
nach 1300: Dolina und Goritschach,
vor 1300: Bela > Vellach, Breznica >Frießnitz
nach 1300 Breznica >Wrießnitz, Brdo > Werda, Ribnitz (noch jünger).
Das Gleiche gilt für die Substitution von slow. s durch dt. z /=c/:
vor 1300 Sele / Zell, Suha / Zauchen, Sreje / (Z')Rajach, Strpnja ves/ (Z')Traundorf
nach 1300 Suha > Sucha, Sreje > Srajach.

Die Sprache ist das Gedächtnis eines Volkes, das älteste kulturelle Erbe überhaupt. Leider ist sie aber kein genetisches, sondern ein soziokulturelles Erbe, jedes Kind muss sie in der Kindheit erlernen, um das Erbe der Muttersprache antreten zu können - wenn die Eltern es wollen.

3. Von der Neuzeit bis zum Zweiten Weltkrieg
Die umwälzenden Veränderungen der ökonomischen und sozialen Strukturen Europas in der zweiten Hälfte des 15. und zu Beginn des 16. Jhdts. betreffen auch Kärnten. Der alte Adel sucht aus den Bauern noch mehr herauszupressen. Ende des 15. Jhdts. wird Kärnten durch mehrere Türkeneinfälle verwüstet. Die Unfähigkeit des Adels, seine Schutzfunktion wahrzunehmen, und die eigens zur Türkenabwehr eingeführten Steuern waren neben anderen Aspekten ausschlaggebend für die Bauernaufstände in den Jahren 1478 und 1515 und 1525. Der Aufstand von 1515 ging sogar als sogenannter Windischer Bauernkrieg („za staro pravdo“ – für das alte Recht) in die Geschichte ein. In der Reformation erlebten die Slowenen in Kärnten einen kulturellen Aufschwung. Die Kärntner Stände trugen ein Fünftel der Kosten der berühmten Dalmatin-Bibel, wofür sie 300 der insgesamt 1500 Exemplare erhielten. In der Nähe von Arnoldstein gab es zwei Gemeinden, Seltschach/Sovce und Agoritschach/Zagorice, die sich der Gegenreformation widersetzten und die verbotene Reformationsliteratur abschrieben und vertreiben ließen. Schulen gab es nur in größeren Städten. Sie wurden lateinisch und deutsch geführt, es gab also keinen slow. Unterricht. In der Phase des nationalenErwachens im 19. Jhdt. war die slow. Volksgruppe nahezu identisch mit einer einzigen sozialen Gruppe, der Bauernschaft. Die Intelligenz kam aus ebendiesem Kreis und bestand vorwiegend aus Landpfarrern. Die Emanzipationsbestrebungen wurden von der deutschen Bürgerschicht als bedrohliche Konkurrenz empfunden. Und schon wurde der Nationalitätenkampf ausgetragen – ein Kampf zwischen dem wirtschaftlich mächtigen, antiklerikalen deutschen Bürgertum und den aufstrebenden slowenischen Eliten. Die deutschen Führungsschichten waren an der Sicherung ihres Besitzstandes interessiert und erklärten ihre wirtschaftlich motivierten Absichten zur nationalen Frage. Die Unterordnung der slowenischen Bevölkerung sollte durch Germanisierung erreicht werden. Das war in groben Zügen die Politik bis zum Zusammenbruch der Monarchie.

Und in der Kultur? Bis zum Jahr 1848 war die slowenische nationale Erneuerung eine rein kulturelle Bewegung. Zahlreiche Persönlichkeiten beschäftigten sich mit der slowenischen Schriftsprache, erstellten Grammatiken und Wörterbücher (Oswald Gutsmann, Urban Jarnik). Mit France Prešeren, dem heute noch größten slowenischen Dichter, wird das Slowenische in den Kreis der europäischen Hochsprachen eingeführt. Das Revolutionsjahr 1848 gibt der nationalen Bewegung auch politische Dimensionen. Der Pfarrer Matija Majar Ziljski (1809-1892) formuliert das erste slowenische nationale Programm: Vereinigung der Slowenen im Rahmen der Monarchie in einem gemeinsamen nationalen Territorium und völlige Gleichstellung der slowenischen mit der deutschen Sprache. In den folgenden zwei Jahrzehnten wird Klagenfurt/ Celovec das kulturelle Zentrum aller Slowenen. Hier werden vier slowenische Zeitschriften herausgegeben und hier wird 1851 die Hermagoras Bruderschaft (Mohorjeva družba; Ende des Jahrhunderts über 90.000 Mitglieder !) mit einem Verlag gegründet, der bis zum Jahre 1918 über 4 Millionen Bücher über die Pfarrhöfe unter das Volk bringen wird. Einer der Mitbegründer ist Bischof Slomšek (von Lavant und Marburg), der in der Volksbildung den Weg sieht, der Assimilation den Riegel vorzuschieben. In Klagenfurt wird 1866 der erste slowenische Roman (Deseti brat "Der zehnte Bruder" von Josip Jurcic) verlegt,.und im Hermagoras-Verlag erscheint schließlich auch die Grammatik von Anton Janežic, die die standardsprachlichen, für alle verbindlichen neuen morphologischen Formen prägt (1854), und nach der die Slowenen bis zum Ende der Monarchie Slowenisch lernen werden.

Kärnten ist wegen des mittelalterlichen slawischen Fürstentums Karantanien, der Christianisierung als Garantie für den Fortbestand der Völker, wegen der Freisinger Denkmäler und der literarischen Rolle Klagenfurts im 19. Jhdt. jene Landschaft, die im slowenischen Kulturbewusstsein einen herausragenden, auch emotional belegten Stellenwert besitzt. Dazu kommt die reiche Kärntner mündliche Tradition mit nicht selten gesamtslowenischer Bedeutung. So etwa ist die Heldin aus der Erzählung Miklova Zala, das von den Türken entführte Bauernmädchen aus St.Jakob im Rosental zur Symbolgestalt der leidgeprüften und opferwilligen slowenischen Frau überhaupt geworden. Und zahlreiche schwermütige Volkslieder sind jenseits der Karawanken ebenso beliebt wie diesseits.

Im letzten Viertel des 19. Jhdts. formiert sich in Kärnten ein einheitliches slowenisches konservatives Lager, das bei Wahlen kandidiert und eine eigene Zeitung herausgibt (Mir). Aus ihm heraus entsteht ein Netz von Spar- und Darlehenskassen, von landwirtschaftlichen Genossenschaften und kulturellen Organisationen. Als Gegner dieser Gruppe profiliert sich das deutsch-liberale Bürgertum, das stark deutschnational ausgerichtet ist. Es benützt seine politische Macht u.a. dazu, die 1848 eingeführten, das Slowenische berücksichtigenden Volksschulen durch "utraquistische" zu ersetzen (1891), in denen das Slowenische nur mehr solange gelehrt wird, bis die Schüler dem Unterricht in deutscher Sprache folgen können, d.h. der Unterricht in slowenischer Sprache wird auf die ersten zwei Schulstufen eingeschränkt. Eine autochthone Landessprache als Steigbügelhalter zum Erlernen des Deutschen also.

Als nach dem Zerfall des ehemals gemeinsamen Staates, der Monarchie, das eben entstandene Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (Kraljevina SHS) Ende 1918 Teile Unterkärntens beanspruchte, fühlten sich die Germanisierer das erste Mal mit Recht bedroht. 1918 und 1919 kam es zu Grenzkämpfen, dem sog. Kärntner Abwehrkampf (Wo man mit Blut die Grenze schrieb – heißt es in der letzten Strophe der Kärntner Landeshymne), der in einer militärischen Niederlage und mit der Besetzung Südkärntens einschließlich Klagenfurts durch die SHS-Truppen endete. Die Grenze schrieben jene, die bei der Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 (auf Beschluss der Pariser Friedenskonferenz) für die territoriale Zugehörigkeit Südkärntens zu Österreich stimmten. In 51 zweisprachigen Gemeinden mit 22.025 Wahlberechtigten entschieden sich 59,04% für Österreich und 40,96% für den SHS-Staat. Ein legendäres Datum, das die Deutschnationalen zum Sieg des Deutschtums über das Slawentum umfunktionierten. Dabei waren für dieses für sie so erfreuliche Resultat die ca 12000 Stimmen für Österreich, die aus den Reihen der Slowenischsprachigen kamen ausschlaggebend, da sie ja etwa 70% der Bevölkerung des Abstimmungsgebietes ausmachten. Damals entstand auch der Kärntner Heimatdienst, der Dachverband der Deutschnationalen, der seither das nationale Klima im Lande bestimmt. Organisiert wurde er vom Leiter des Abwehrkampfes Hans Steinacher. Zitat aus seinem Buch „Sieg in deutscher Nacht“, 1943: Es war mir stets eine unumstößliche Selbstverständlichkeit, den Abstimmungskampf nicht um den Anschluß an Österreich, sondern um die großdeutsche Zukunft zu führen (317).

Dass die Volksabstimmung zugunsten Österreichs ausging, ist nicht zuletzt der sachbezogenen Propaganda der Kärntner Landesregierung zu verdanken. Die Argumente waren wirtschaftlicher Natur (ein Wirtschaftsraum um das Klagenfurter Becken), politischer (Demokratie vs. Monarchie) und sozialer Natur (soziale Gesetzgebung in Österreich). Von ganz besonderer Bedeutung aber war das zweisprachige Versprechen der Landesregierung, dass sie den slowenischen Landsleuten ihre sprachliche und nationale Eigenart jetzt und alle Zeit wahren will und dass sie deren geistigem und wirtschaftlichem Aufblühen dieselbe Fürsorge angedeihen lassen wird, wie den deutschen Bewohnern des Landes. Dieses feierliche Versprechen schützt alle Kärntner Slowenen, wählt für ein freies, ungeteiltes Kärnten! Keine Spur von den sogenannten Windischen. Zwei Monate nach der Volksabstimmung jedoch, statt sich bei den slowenischen Landsleuten zu bedanken, erklärt der Landesverweser Arthur Lemisch: Nur ein Menschenalter haben wir Zeit, diese Verführten zum Kärntnertum zurückzuführen; in der Lebensdauer einer Generation muss das Erziehungswerk vollende sein. Das werden nicht die Behörden und die Regierungen machen können, das Kärntner Volkselbst muss es besorgen, Haus, Schule und Kirche müssen sich am Heilungswerk beteiligen. Mit deutscher Kultur und Kärntner Gemütlichkeit wollen wir, wenn Schule und Kirche das ihre tun, in einem Menschenalter die uns vorgestreckte Arbeit geleistet haben. In Kärnten herrschte Pogromstimmung: 28 Priester wurden durch das bischöfliche Ordinariat entlassen,30 versetzt, ein Pfarrer beim Versehgang angeschossen, 58 Lehrer aus dem Schuldienst entfernt. Mitte der 30er Jahre waren von den slowenischen Lehrkräften an den utraquistischen Schulen aus der unmittelbaren Kriegszeit nur mehr vier in Österreich. Mit einem Wort, die slowenische Intelligenz wurde des Landes verwiesen (s. H. Haas, K. Stuhlpfarrer, Österreich und seine Slowenen, Wien 1977).

Wozu dann die deutsche Kultur im Stande war, zeigte die nationalsozialistische Herrschaftachtzehn Jahre später: Wer nicht eindeutschungswillig war, sollte ausgesiedelt werden. Im April 1942 wurden 947 Kärntner Slowenen ins Reich ausgesiedelt, auf ihre Anwesen kamen Kanaltaler Deutsche. Die Aussiedlung erfolgte auf Anordnung Heinrich Himmlers, der genau informiert war, wo Slowenen wohnten, denn die Gemeinden der Auszusiedelnden wurden namentlich angeführt. Führende slowenische Politiker, Lehrer und Geistliche wiederum wurden des Landes verwiesen oder in Lager gesteckt, das Slowenische in der Öffentlichkeit wurde verboten (Plakat: "Kärntner sprich Deutsch, Sprache ist Ausdruck deiner Gesinnung!").Maier-Kaibitsch, Leiter des Kärntner Gaugrenzlandamtes, verantwortlich für die Umsiedlung, schreibt im Juli 1942: Es darf nur mehr deutsche Aufschriften geben (in Kärnten). In Kirchen, auf Fahnen, Kreuzen, Wegbildern und auf Grabsteinen der Friedhöfe. Jeder muß sich in den Dienst dieser Aufgabe stellen und windische Aufschriften ... dem Gauamte bekanntgebe ... Unsere erste und wichtigste Aufgabe ist daher... die Ausmerzung des Slowenischen aus dem öffentlichen und privaten Leben. Ab 1942 kam es in Kärnten zu einem von den in Jugoslawien agierenden Partisanen unterstützten bewaffneten Widerstand gegen Hitler-Deutschland, der ab 1943, nachdem die Befreiungsfront der Partisanen einen Gebietsausschuss auch für Kärnten eingerichtet hatte, eine organisierte Form annahm. Es blieb der einzige militärisch organisierte Widerstand gegen das NS Regime in Österreich. Die Außenministerkonferenz in Moskau 1943 hatte Österreichs Zukunft von der Selbstbefreiung von den Nazis abhängig gemacht, und so war der von den Partisanen geleistete Widerstand dann auch ein schwerwiegendes Argument der österreichischen Delegation bei den Staatsvertragsverhandlungen 1949 in London. Die slowenischen Partisanen hatten in Kärnten etwas über 1000 Gefallene. Im April 1943 wurden 36 Männer und Frauen aus der Umgebung von Zell/Sele und Eisenkappel/Železna Kapla beschuldigt, die Partisanen begünstigt zu haben. Dreizehn von ihnen wurden in Klagenfurt exemplarisch zum Tode verurteilt, auf immer für „ehrlos“ erklärt und am 29. April 1943 im grauen Haus (Landesgericht) in Wien enthauptet. Bundespräsident Kirchschläger hat diese Urteile fünfzig Jahre später aufgehoben und erklärt, dass die Enthaupteten niemals ehrlos gewesen waren. Nach dem Krieg stand die Grenzfrage erneut zur Diskussion. Jugoslawien forderte Südkärnten einschließlich Klagenfurt für sich. Die Jugoslawische Armee hielt Südkärnten vierzehn Tage lang besetzt, wonach sie sich auf Verlangen der Briten aber zurückziehen mußte. 260 Kärntner Kollaborateure des NS-Regimes und solche, die man dafür hielt, wurden nach Jugoslawienverschleppt. 96 Personen gelten noch heute als vermisst.

4. Die Lage nach dem Krieg
Aus der Sicht des Österreichischen Volksgruppenzentrums in Wien ist die Volksgruppenpolitik der österr. Bundesregierung in mehrere Phasen zu unterteilen.

4.1. Von 1945 bis zum Staatsvertrag 1955 – Phase der Gewährung
Nach dem WK II wurde in Südkärnten die obligatorische zweisprachige Schule, organisiert nach dem Territorialprinzip und Schweizer Vorbild, eingeführt. Man hoffte, dass die zweisprachige Erziehung und Kultur auch Sache der Mehrheit werde. In 62 Gemeinden lernten alle Schüler beide Sprachen, was weder germanisierend noch slowenisierend war. Diese Verordnung bezeichnete der Landesausschuss als Akt der Wiedergutmachung. Österreich war bemüht, den Slowenen substantielle Rechte zuzugestehen. Das funktionierte aber nur so lange, als die Besatzungsmächte im Lande waren.

Die Tinte des Staatsvertrages war noch nicht trocken, als man bereits gegen dieses Schulmodell zu agitieren begann und es schließlich 1958 zu Fall brachte. Ab nun konnten sich Schüler vom zweisprachigen Unterricht abmelden und mußten sich für ihn ausdrücklich anmelden. So wurden von heute auf morgen von etwa 12.000 Schülern 10.000 abgemeldet. Der 1957 wieder zugelassene Heimatdienst organisierte in den „Sprachzwangsgemeinden“ einen allgemeinen Warnstreik, sogar Streikposten wurden aufgestellt. Die Abmeldung wurde dann als neueVolksabstimmung gefeiert, die offiziellen Stellen brauchten sich nicht zu engagieren. Es war nach 1959 jeden Herbst ein Volkstumsbekenntnis notwendig, wenn man die im Staatsvertrag verbrieften Rechte in Anspruch nehmen wollte. Ein Ergebnis dieser Abmeldungen ist u.a., dass es heute in Slowenien zehnmal mehr deutschsprachige Slowenen gibt als in Kärnten slowenischsprachige Deutsche.

4.2. Phase der Verhinderungspolitik (1955-1972)
Volksgruppenkonflikte werden nicht zufällig über die Schule ausgetragen. Über die Unterrichtssprache kann man die Assimilierung wesentlich fördern oder aber gegen sie wirken.. Wenn die Angehörigen einer Volksgruppe keine solide sprachliche Ausbildung erhalten, hat diese keine Überlebenschance, denn eine Sprache muss auf allen Ebenen funktionieren, nicht nur als Dialekt zu Hause und im Stall. Es ist also nicht erstaunlich, dass es gerade die im Volkstumskampf erprobte Kärntnerdeutsche Lehrerschaft war, die in den 20-er Jahren die erste nationalsozialistische Lehrervereinigung des Reiches gegründet hatte. Die Grundlage für die sprachliche Beherrschung aber wird im Elternhaus geschaffen.

Die Staatsvertragsbestimmungen wurden in Österreich restriktiv interpretiert und nicht umgesetzt. Jugoslawien als Signatarmacht wiederum war nie ernsthaft interessiert bzw. in der Lage, die Erfüllung der Minderheitenrechte einzufordern, da Österreich in diesem Falle die Haftung für die jugoslawischen Kredite bei der Weltbank zurückgezogen hätte.

Wohl aber wird im Jahre 1957 das Slowenische Gymnasium gegründet, das inzwischen über 1000 Absolventen aufzuweisen hat. Besucher und Absolventen haben schon bald und wesentlich zur politischen Bewusstseinsbildung innerhalb der Volksgruppe beigetragen. Jedenfalls betrachteten sie den Artikel 7 des „Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich“ als unerfüllt. Im Jahre 1970 begannen Jugendliche die einsprachigen Ortstafeln mit slowenischen Bezeichnungen zu ergänzen, und die Politik musste reagieren.

4.3. Phase der restriktiven Politik (1972-1988)
1972 beschließt Kreiskys Regierung, in 205 Orten zweisprachige Ortstafeln aufstellen zu lassen,Landeshauptmann Hans Sima ist damit einverstanden. Da regt sich der gut organisierte Heimatdienst, wie 1958 bei der Schulepisode, wieder: Die zweisprachigen Ortstafeln werden umgerissen und beseitigt. Sima muss als Sündenbock gehen (s. sein Interview „Nie mehr Kärntneranzug“, Format 3, 2002). Eine gefährliche Eskalation gab es wieder im November 1976 wegen der Volkszählung besonderer Art. Kreisky „wusste nicht“, wo Slowenen siedeln und ließ eine geheime Volkszählung durchführen. Der Wortlaut eines der Plakate: Willst du kein Slowene sein, dann kreuze nur so an: Deutsch. Das danach wider den Willen der Minderheit beschlossene Volksgruppengesetz machte die Gewährung der Volksgruppenrechte von einer 20% bzw. 25%-Klausel abhängig, und das obwohl die Volksgruppe die Volkszählung boykottiert hatte und es in Wien mehr Slowenen gab als in Kärnten. Der Verfassungsgerichtshof hob vor Weihnachten 2001 die 25%-Klausel für die Ortstafelregelung auf. Nun herrscht wieder Abwehrkampfstimmung, diesmal zu Beginn des 21. Jhdts. Nach 1975, als die slow. Wahlgruppierung Koroška enotna lista / Kärntner Einheitsliste den Einzug in den Landtag um nur wenige hundert Stimmen verfehlte (sie erhielt 6130 Stimmen), wurde zur nächsten Landtagswahl das Wahlrecht derart geändert, dass das Siedlungsgebiet der Slowenen auf 4 Wahlkreise aufgeteilt wurde und seither für den Einzug in den Landtag ca. 10% der Wählerstimmen notwendig sind. Im übrigen Bundesgebiet gilt eine 4-5% Klausel für ein Grundmandat. (...)

4.4. Dialogpolitik (1988-1994)
Durch den Kompromiss in der Schulfrage wurden auf der Bundesebene der Dialog mit allen österreichischen Volksgruppen eingeleitet. Sogar die Volksgruppenbeiräte, ein beratendes Gremium, das für die Volksgruppen der Ungarn, Tschechen, Kroaten, Slowenen und Roma eingerichtet wurde, wurden von den Minderheiten beschickt. Im Rahmen des ORF wurden muttersprachliche TV Sendungen eingeführt (eine halbe Stunde sonntags), 1990 wurden in Klagenfurt die zweisprachige Handelsakademie und das Volksgruppenbüro begründet. Auch die finanzielle Förderung von sprachlichen und kulturellen Projekten der Volksgruppen wurde erhöht. Den Roma und den Slowaken wurde der Volksgruppenstatus zuerkannt. (...)


Aus: http://www-gewi.uni-graz.at/slaw/studium/ring_vo/scripts/lk_slow-au.pdf